Was heißt „klimagerecht“? Klimagerecht wäre es zumindest, wenn diejenigen, die die meisten Treibhausgase in die Atmosphäre ausstoßen, sei es durch Industrie, Motorisierung oder Konsum, auch mit den stärksten Konsequenzen zu rechnen hätten. Doch dies ist nicht der Fall; von den Folgen des Klimawandels sind vor allem Länder des globalen Südens mit geringen ökologischen Fußabdrücken schon seit Anfang des Jahrtausends massiv betroffen. So wie das afrikanische Ruanda: Das Partnerland von Rheinland-Pfalz gehört nach dem aktuellen HDI-Index zu den Least Developed Countries und hatte bereits 2006 mit der Entwicklung von Strategien zur Klimaanpassung begonnen.

Die schrittweise Veränderung klimatischer Bedingungen betrifft in Ruanda vor allem zwei große Bereiche: Landwirtschaft und Gesundheit. Die steigenden Temperaturen haben im Osten des Landes lang anhaltende Dürren zur Folge, während eine neuartige Form von Niederschlägen vor allem im Norden und Westen Ruandas für Hochwasser und Überschwemmungen sorgt. Klingt jetzt erstmal nach einem etwas drastisch ausfallenderen Wetterbericht, doch was bedeutet das konkret für die dort lebenden Menschen? Die plötzlichen Änderungen der klimatischen Bedingungen und die damit verbundene Unberechenbarkeit heißen vor allem eines: Verlust und Existenzbedrohung.

Die ausnahmslose Entwertung von gesammelten Kenntnissen und Erfahrungen bezüglich Anbaubedingungen, hohe Einbußen in der Viehzucht und Ernte - die Notwendigkeit, komplett umzudenken, umzustrukturieren. Schon seit über einem Jahrzehnt verfolgen die Ruander*innen daher Klimaanpassungsstrategien: Beispielsweise werden Wasserreservoirs angelegt, um die Dürreperioden zu überstehen und Terrassierungs- und Ressourcenschutzprogramme sollen dem Verlust der Reisernte durch das steigende Überschwemmungsrisiko vorbeugen. Die Landwirtschaft ist einer der ökonomisch wichtigsten Sektoren für den ostafrikanischen Staat, weswegen das Schicksal vieler Einwohner direkt an den Verlauf des Klimas geknüpft ist.

Hinzu kommen auf Dürreperioden folgende Hungersnöte und Trinkwasserknappheit, sowie die Ausbreitung von Malaria-Überträgern wie der Anophelesmücke, die durch den Temperaturanstieg begünstigt wird. Auf diese Weise wird der Klimawandel für die Bevölkerung auch zu einer immer stärkeren direkt gesundheitlichen Bedrohung.

Die daraus resultierende Betroffenheit steht in keiner Relation mit dem CO2 -Ausstoß Ruandas: Im weltweiten Vergleich befindet es sich auf den hintersten Plätzen - 0,09 Tonnen pro Kopf (2018, internationaler Durchschnitt: 4,8t pro Kopf) Andere Staaten haben das Hundertfache an Ausstoß zu verzeichnen; und so haben sich Ruanda und viele weitere Länder im globalen Süden, Problemen zu stellen, die größtenteils durch andere verursacht wurden. Ein tolles Prinzip mit langer Tradition.

Währenddessen pusten wir Deutsche (und ich nenne jetzt ganz bewusst nicht die USA, China, etc. – klar, da muss sich auch was tun, doch in diesem Artikel soll es um unsere konkrete Verantwortung gehen) fröhlich weiter CO2in die Luft und geben uns kaum Mühe, unseren Beitrag zum 2015 in Paris vereinbarten 1,5 Grad-Ziel zu leisten.  Denn welch Überraschung? Bei uns ist es nicht die Landwirtschaft, die das wichtigste Kernelement unseres Bruttoinlandsprodukts ist, sondern die Dienstleistungs- und Produktionssektoren, wobei vor allem auch noch die Autoindustrie hervorsticht. Dass sich auch unsere Groß- und Kleinbauern und Landwirte vor schier unlösbaren Herausforderungen bezüglich des Klimawandels befinden, ist natürlich ärgerlich, aber vernachlässigbar. Es ist kein akutes Problem; die Landwirtschaft ist für Deutschland nicht existenziell. Und daher ist der eigentliche Ernst der Lage gar nicht so einsichtig für uns. Die „Klimaanpassung“, die in vielen Ländern des globalen Südens auf der politischen Agenda mit höchster Priorität gekennzeichnet ist, ist vielen von uns noch gar kein Begriff. Die Bilder, die uns von Dürren, Überschwemmungen und Naturkatastrophen erreichen, scheinen weit weg. Es besteht noch keine Klarheit darüber, dass wir zwar nicht als Erstes „dran“ sind, aber dennoch in einigen Jahrzehnten vor unsere Haustür schauen und denken werden „Hätten wir doch mal früher angefangen…“

Auch in naher Zukunft werden wir neben dem bereits merklichen Temperaturanstieg und der zunehmenden Veränderung von Umweltbedingungen weitere Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen: Von auf seltsame Weise angestiegenen Kaffeepreisen bis hin zu Migrationsströmen, die von der Klimakrise ausgelöst werden. Sie verschlechtert Lebensbedingungen, zerstört Heimaten, lässt Menschen alles verlieren. Wir, zurzeit auf Platz 6 des internationalen CO2 -Ausstoß-Vergleichs, sind mitverantwortlich für deren Schicksal. Es ist unsere Aufgabe, sowohl für ein würdiges Leben der klimabedingt Geflüchteten zu sorgen, als auch unsere Klimaschulden so weit wie möglich zu tilgen, um einen Beitrag zur Lösung dieses globalen Problems zu leisten, das uns alle betrifft – früher oder später. Und mit genau diesem Beitrag sind wir auf dem Weg zur Klimagerechtigkeit.

Wahrhaftige Klimagerechtigkeit ist leider eine Utopie und wird vermutlich auch noch lange eine bleiben. Das Bewusstsein für die bestehende Klimaungerechtigkeit hilft uns jedoch sehr dabei, die Notwendigkeit und Tragweite von Klimaschutz und Klimaanpassung in unseren Köpfen zu verankern und langfristig nach der Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels zum Wohl der gesamten Menschheit zu streben.

von Chiara Pohl

Quellen:
Ruanda Revue „Herausforderung Klimawandel“ (Ausgabe 2/16)  S.3-6
laenderdaten.info: Methan- und CO2-Ausstoß nach Ländern